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Stichwahl Türken diskutieren den sich abzeichnenden Wahlsieg Erdogans

Von dpa 28.05.2023, 20:24
Türkinnen und Türken in Berlin verfolgen die Ergebnisse der Stichwahl in der Türkei.
Türkinnen und Türken in Berlin verfolgen die Ergebnisse der Stichwahl in der Türkei. Joerg Carstensen/dpa

Berlin - Bei der Stichwahl in der Türkei zeichnet sich ein Sieg des amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ab - in Berliner Kneipen sind die vorläufigen Ergebnisse innerhalb der türkischen Gemeinschaft kontrovers diskutiert worden. „Wir sind nicht glücklich“, sagten die Türkinnen Cansa und Billur (beide 30) in einer Kneipe am Kottbusser Tor am Sonntagabend. „Wir hatten große Hoffnungen für die Opposition.“ Beide leben nach eigenen Angaben in Berlin und gingen zur Wahl.

Die 46-jährige Berna ist überzeugt, dass der absehbare Sieg Erdogans über seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu die türkische Gemeinschaft in der Hauptstadt weiter spalten wird. „Die Fronten sind sehr verhärtet“, sagte sie am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur. „Es gibt wenig Empathie für die jeweils andere Seite.“ Gleichwohl sieht sie es als hoffnungsvolles Zeichen, dass Kilicdaroglu als Angehöriger der alevitischen Minderheit in der Türkei zunächst in der ersten und dann in der Stichwahl so gut abgeschnitten habe.

Auch Gast Fatih Celik äußerte sich enttäuscht über die ersten Zahlen. Er sei Kurde, in der Türkei Lehrer gewesen, habe dann seinen Job verloren und schließlich das Land verlassen müssen. Seit zwei Jahren lebe er nun in Deutschland. „Ich habe bei der ersten Wahl geweint“, sagt er. „Nicht um mich, sondern um die Demokratie in der Türkei.“

Andere Türken feierten hingegen den voraussichtlichen Sieg des amtierenden Präsidenten. Rund um das Kottbusser Tor gab es am Abend vereinzelte kleinere Autokorsos von Unterstützern.

Nach ersten Hochrechnungen konnte Erdogan bei der Wahl am Sonntag gegen seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinen. Rund 61 Millionen Menschen waren in der Türkei zur Abstimmung aufgerufen. Dazu kommen rund 3,4 Millionen im Ausland lebende Wahlberechtigte. In Deutschland sind rund 1,5 Menschen gemeldet, die sich an der Wahl beteiligen durften.

Erdogan galt bereits vor der zweiten Runde im Inland wie im Ausland als Favorit, nachdem er die absolute Mehrheit in der ersten Runde am 14. Mai knapp verpasst hatte.

Die Wahl gilt als richtungsweisend. Erdogan ist seit 20 Jahren an der Macht. Seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat er so viel Macht wie nie zuvor. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern nach dem erneuten Sieg Erdogans vollends in die Autokratie abgleiten könnte. Kilicdaroglu tritt für eine Allianz aus sechs Parteien unterschiedlicher Lager an und verspricht, das Land zu demokratisieren. Nicht nur in der Region, sondern auch international wird die Abstimmung in dem Nato-Land aufmerksam beobachtet.